Seine Aleppobeule
Alfred Maier

Seine Aleppobeule.
Reiseerinnerungen von Alfred Maier.

Sie hiess Anuschka und war eine kleine rumänische Tänzerin. Unsere Bekanntschaft begann in einem Tingeltangel in Beirut und endete in einer Music-Hall in Kairo. Wir hatten einige Male zusammen getanzt bis sich herausstellte, ass sie auch Deutsch sprechen konnte mit einem typisch "weanerischen" Einschlag. Ich fand Gefallen an ihrem Geplauder und, bevor wir uns trennten, wurde vereinbart, dass wir uns vor meiner Abreise nach Aegypten nochmals sprechen wollten und dass sie vielleicht sogar mit demselben Dampfer reisen würde, wenn ihre Papiere bis dahin in Ordnung wären. Vorher wollte ich jedoch einen vierzehntägigen Abstecher in's Landesinnere nach Damaskus und Aleppo unternehmen, wohin mich meine Geschäfte riefen.

Und nun eine Zwischenfrage: „Was hat ein seriöser junger Geschäftsreisender überhaupt in einem Tanzlokal verloren?" - Antwort: „ Garnichts und --- Alles!" Das Leben ist eintönig selbst im farbenbunten Orient und gerade dort muss man Ablenkung und Zerstreuung suchen um elastisch zu bleiben und nicht einzutrocknen. Die überschüssige Lebenskraft dringt zur Betätigung und diesen Standpunkt vertreten auch sogar ältere und gesetzte Kollegen. Da war zum Beispiel ein Herr Rehberg, die Hauptperson dieses Intermezzos, ein sogar sehr verheirateter Herr in mittlerem Alter, dessen Gemahlin ihn bei der Heimreise stets bis Triest entgegenfuhr um ihn dort zu empfangen. Herr Rehberg war Inhaber einer Möbelfabrik und verkaufte im Orient "echte" Wiener Möbel, die aber irgendwo in Mähren das Licht der Welt erblickten. Also auch Herr Rehberg war von der Partie, ein Freund guter Stimmung, wenn auch vielleicht weniger aktiv wie wir jüngeren Jahrgänge in der Ausübung des edlen Tanzsports, zumal er etwas zur Korpulenz neigte.

Im Hotel Baron in Aleppo trafen wir uns wieder, Herr Rehberg und ich, sowie weitere sechs Reisende aus aller Herren Länder, Italiener, Spanier, Franzosen, ja sogar ein Russe war darunter und wir bildeten bald eine Art Schicksalsgemeinschaft, als nämlich einige Tage später die Schreckensbotschaft eintraf, dass der Bahnverkehr auf der einzigen Strecke nach Beirut unterbrochen sei. Durch starke Regenfälle hatte sich das Gleise an einem gewissen Punkt gesenkt, sodass die Züge nur von Beirut bis Hama verkehren konnten. Wir waren von der Ausssenwelt abgeschlossen und niemand konnte uns sagen, wielange dieser Zustand andauern würde. Autostrassen gab es noch nicht zu jener Zeit. Syrien war damals noch eine türkische Provinz und die stehende Redensart der Türken ist immer noch: "Yawàsch, yawàsch!" gewesen entsprechend unserem:" Nur immer langsam voran, nur immer langsam. voran!"

Es war uns daher allen klar, dass da etwas geschehen müsse und nach einigen gemeinsamen Besprechungen war auch schon eine Lösung gefunden worden und zwar wollten wir eine Wagenkarawane bilden und mit Sack und Pack zusammen nach Hama fahren, um dort am nächsten Tag den Beiruter Zug zu erreichen. Zur Hilfe kam uns dabei der Umstand, dass inzwischen ein täglicher Zug früh morgens von Aleppo abgelassen wurde bis zu einer kleinen Station ca. 3 Stunden entfernt. Dort sollten uns die Fuhrleute erwarten, mit denen wir nach langem Feilschen schliesslich handelseinig geworden waren über den Fahrpreis. Nur ein einziger von uns war nicht einverstanden und das war der Russe. der behauptete, einen Dampfer des Oestreichischen Lloyd in Alexandrette erreichen zu können und soll dabei eklig hereingefallen sein, wie wir später zu unserer Genugtuung erfuhren. Als nämlich sein Wagen die letzte Kurve der Bergstrecke erreicht nette, sah er zu seiner grossen Enttäuschung von hoch oben, wie sein Dampfer eben gerade majestätisch aus der Bucht hinausfuhr. Dafür schloss sich uns ein deutscher Ingenieur der Bagdadbahn an, was uns hochwillkommen war, da dieser Herr leidlich gut arabisch sprach, während wir in dieser schönen Sprache nur die üblichen paar Brocken verstanden, die ja jeder Reisende notgedrungen lernen muss.

Am nächsten Morgen schon startete die Fahrt und verlief programmässig. die Fuhrleute, die schon in der Nacht vorher aufgebrochen waren, erwarteten uns, wie vereinbart, an der provisorischen Endstation der Eisenbahnlinie. Schnell waren unsere Koffer verstaut und hatten wir uns in die verschiedenen Wagen verteilt und los ging's über Stock und Stein bei strahlendem Sonnenschein und in bester Stimmung. Ja, das war wieder einmal etwas anderes als die zwar bequemere aber etwas langweilige Bahnfahrt. Wir durchquerten einige kleine Ansiedelungen mit ihren typischen Lehmhütten in Turmform d.h. rund und oben zugespitzt und kamen manchmal an Lagerplätzen von Beduinen vorüber. Mit ihren niedrigen schwarzen Zelten aus Kameelhaar, bestaunt von schmutzigen und halbnackten Kinderschwärmen. Auf halber Strecke wurde Halt gemacht und die mitgebrachten Brötchen und Konserven verzehrt, wobei der fröhlichen Laune freier Lauf gelassen wurde in Form von phantastischen Ansprachen und Trinksprüchen. Nur einer von uns hängte den Kopf und stiess ab und zu einen Klagelaut aus, unser Freund Rehberg, der Möbelfritze, Rehberg, der Unglücksmensch, Rehberg, der Mann mit dem Stich. Ein Insektenstich am linken Fuss war die Ursache davon und, grausam wie die Jungen nun einmal ist, machten wir uns noch lustig über ihn und bestärkten ihn in seinem Glauben, dass das sicher des Anfang vom Ende sei. Im günstigsten Fall könne er mit einer Aleppobeule davonkommen. Und er fiel tatsächlich darauf herein, obwohl jedes Kind weiss, dass diese Geschwulst dem Wasser Aleppos zugeschrieben wird und meistens im Gesicht und besonders an der Nase auftritt. Fliegenstiche scheiden somit als Ursache der Aleppobeule völlig aus.

Gegen Abend hielten wir unseren triumphalen Einzug in Hama und fuhren direkt zum Bahnhof, wo uns der Stations-Chef grossmütigerweise einen leeren Personenwagen zur Verfügung stellte, in dem wir die Nacht zubrachten, denn Hama hat kein Hotel, wenigstens nicht, was wir darunter verstanden und fühlten wir uns auch mit unserem Gepäck sicherer in unserem Wagen, als in der Stadt die ausschliesslich von Mohammedanern bewohnt war, von. deren Fanatismus damals noch nie tollsten Gerüchte herumliefen und wie leicht wäre es da zu Zusammenstössen. Mit Rehberg war es inzwischen immer schlimmer geworden, wobei wol seine Einbildungskraft die grösste Rolle gespielt hat. Es kam sogar soweit, dass er glaubte, nicht mehr den nächsten Tag zu erleben und uns, beim Schein einer Kerzen sein Testament diktierte. Es wurde daher beschlossen, dass eine Abordnung von zwei Mann am nächsten Vormittag einen Arzt oder wenigstens Verbandszeug in Hama auftreiben sollte und meldeten sich wir zwei Deutschen freiwillig dazu, der Ingenieur von der Bagdadbahn und ich. Den Arzt trafen wir während seiner Visite an und er war gerade im Begriff, seinen Patienten, die anscheinend alle an der gefürchteten ägyptischen Augenkrankheit litten, der Reihe nach eine weisse Flüssigkeit in die vereiterten Augen zu träufelte. Zahllose Fliegen bedeckten dabei die Augen der Kranken, in der Mehrzahl Frauen, und wir verliessen den Hof deshalb fluchtartig, um uns nach der Apotheke durchzufragen. Diese lag unten im Tal direkt neben einer sog. Nuria, jenen riesigen Wasserschöpfrädern der, die für Syrien charakteristisch sind, und mit denen das Wasser des Flusses in die hochgelegen Gärten Hamas befördert wurde. Nach langem Hin- und Herreden erstanden wir schliesslich essigsaure Tonerde, Watte und Billroth- Batist und konnten so dem Patienten endlich einen Verband anlegen, was ihn auch sichtlich beruhigte. Gegen Mittag kam der Zug aus Beirut an und am Abend des nächsten Tages waren wir glücklich im Hotel Gassmann in Beirut gelandet. Trotz der späten Stunde wurde sofort ein französischer Arzt gerufen, um sich des Patienten anzunehmen. Als dieser den Fliegenstich Rehberg's sah, wusste er nicht, ob er lachen oder fluchen sollte und erklärte schliesslich dem verblüfften Rehberg, dass es sich um eine völlig harmlose Sache handle und keinerlei Grund zu Befürchtungen vorhanden sei. Mit der Aleppobeule war es also nichts und hatte ihm nur die Angstpsychose dabei einen Streich gespielt, für die wir allerdings zum Teil mitverantwortlich waren. Am nächsten Tag schon war er wieder der Alte und lachte herzlich mit uns über das glücklich überstandene Abenteuer.

Im weiteren Verfolg meiner Tour gab es alsdann noch einen Programmwechsel und zwar entschloss ich mich, noch Palästina mitzunehmen oder doch wenigstens Jerusalem, welcher Platz bisher vernachlässigt worden war. Auch Herr Rehberg wollte diesen Platz besuchen und so wurde denn vereinbart, dass wir zusammen den am nächsten Samstag abfahrenden Messageries- Dampfer nehmen würden, der auf der Fahrt nach Port Said in Haifa und Jaffa Station machte d.h. wenn es das Wetter und der Seegang gestatteten, denn der Hafen von Haifa ist ja erst in neuerer Zeit angelegt worden und Jaffa verfügt bis zum heutigen Datum noch über keinen Anlegeplatz, sondern die Passagiere müssen ausgebootet und über die Uferklippen hinweg an's Land gebracht werden was einigermaassen gutes Wetter und besonders geschickte Bootsleute voraussetzt.
Als Dritter im Bunde meldete sich noch ein Ungar, den mir Rehberg beim Mittagstisch vorgestellt hatte, Herr Pokorny aus Budapest, der in Cravatten machte, aber direkt nach Aegypten fahren wollte, da er sich von Palästina nicht viel versprach, wie er sagte. Die Sache hatte allerdings noch einen anderen Haken, wie sich alsbald herausstellte.
Die Tänzerin Anuschka hatte ich inzwischen schon längst vergessen und glaubte sie auch schon lange in Aegypten, denn durch den unfreiwilligen längeren Aufenthalt in Aleppo waren seither bereits drei Wochen verstrichen anstatt der vorgesehenen vierzehn Tage. Umsomehr war ich daher erstaunt, als ich mich am Samstag abend einschiffte, sie als erste an Bord wiederzusehen. Sie erkannte mich sofort und schien auch über unser Programm genau orientiert zu sein, war aber sehr kurz, machte mir geheimnis- volle Zeichen und verschwand gleich darauf, nachdem sie mir einen Zettel zugesteckt hatte. In meiner Kabine angekommen, las ich dann folgende in der Eile hingekritzelten Worte darauf: "Sie kennen mich nicht. Sagen Sie Ihrem Freund Bescheid. Sie verstehen." Ich verstand aber im Gegenteil garnichts, ebensowenig wie Rehberg, der bald darauf nachkam, denn wozu denn diese ganze Geheimniskrämerei, soviel Lärm um nichts, nachdem wir ja diese Dame nur ganz oberflächlich kennen gelernt hatten?
- Nun ja, meinte Rehberg, ist ja egal. Thun wir schon dem Mädel den Gefallen und spielen etwas Komödie. wird jo schon fein eine Hetz' geben! Und so beschlossen wir denn, auf den Scherz einzugehen und zu fremdeln. -- Bald darauf kam auch schon des Rätsels Lösung in Gestalt von Herrn Pokorny, der sich anscheinend inzwischen in der Bar Mut angetrunken hatte, in Begleitung der jungen Dame auf uns zukam und sie in aller Form als seine zukünftige Braut vorstellte. Wir mussten zwar auf die Lippen beissen, machten aber unsere Sache sonst ganz gut, beglückwünschten die beiden zeremoniell und begaben uns dann gemeinschaftlich zu Tisch. Dass der Abend noch sehr fidel wurde, bedarf keiner Erwähnung, ebenso wie der am folgenden Sonntag in Haiffa unternommene Ausflug an Land. In Jaffa verabschiedeten wir uns, nicht ohne dass mir Anuschka noch einen zweiten Zettel zugesteckt hatte, des Inhalts, dass sie in Kairo im St. James-Bar zu treffen wäre. Auch Rehberg erhielt einen gleichlautenden Bescheid von ihr und war das Gaudium gross auf unserer Weiterfahrt nach Jerusalem. Ich hielt es also mit dem alten Oestreich und Gebietsabtretungen von Ungarn an das Reich kamen nicht in Frage. Aber noch grösser war das Gelächter acht Tage später in Kairo, als wir alle drei, ohne uns vereinbart zu haben, am gleichen Abend im alten St. James-Bar vorsprachen und unserem Erstaunen über diesen Zufall Ausdruck gaben. Es wurde ein Hoch ausgebracht auf Anuschka und auf Rumänien, denn man kann von Anuschka halten was man will, aber von Inszenierung verstand sie etwas wie Figura beweist.