Entenbraten nach Patrioli- Art
Alfred Maier

Entenbraten nach Patrioli-Art. Reiseerinnerung von Alfred Maier.

Wenn es je ein Original unter den Orientreisenden gegeben hat, wann war es Patrioli. Patrioli war Italiener durch und durch und bereiste in den Nachkriegsjahren die Küstenländer des Nahen Ostens im Auftrag einer bedeutenden Turiner Trikotagenfabrik. Wer ihn zum erstenmal sah, hätte ihn bestimmt für einen Seemann in Zivil gehalten so typisch schwankend und "entenartig" war sein Gang. Aber der Schein trügt, denn Patrioli war alles nur kein Seefahrer und schon der Anblick eines Dampfers konnte ihn seekrank machen. Er war Kriegsteilnehmer bei der alpinen Infanterie und hatte es bis zum Offizier gebracht, worauf er sich nicht wenig einbildete. Er radebrechte etwas französisch, das Englische war ihm verhasst und seine Kenntnisse in den Sprachen der Eingeborenen beschränkte sich auf ein paar Brocken, die er dazuhin meistens verkehrt anwendete zum grossen Gaudium der Kollegen. So zum Beispiel beim Bestellen des türkischen Kaffees, welches köstliche Getränk bekanntlich zusammen mit dem Kaffeesatz serviert wird, was wiederum bedingt, dass man dieses Gemisch nicht umrühren kann und daher den Zucker schon vor dem Kochen hinzufügen muss, wobei jene Tasse für sich zubereitet wird und eine individuelle Behandlung erfährt. Jeder Gast bestellt also, je nach Wunsch, kliko d.i. Süss, polykliko d.i. sehr süss oder metrio d.i. mittel. Patrioli bestellte mit konstanter Boshaftigkeit Demetrio, was ein sehr verbreiteter griechischer Vorname ist und machte dazu das ernsteste Gesicht der Welt. Leider hatte er auch einen Magenkomplex d. h. eine sogenannte Idiosynkrasie gegen Hammelfett, das in der orientalischen und besonders in der griechischen Küche so freigiebig verwendet wird und führte er ständig ein eigenes Kochgeschirr mit sich, in dem man ihm seine beliebten Maccaroni zubereiten musste„ damit sie nicht nach dem Stall muffeln" und seine empfindlichen Magennerven aufreizen. Im Übrigen war er ein glänzender Gesellschafter und konnte einen ganzen Abend lang ununterbrochen Witze erzählen ohne sich je zu wiederholen. Ja, wenn der geschäftliche Erfolg von dieser besonderen Fähigkeit abhängen würde, die Lachmuskeln der Zuhörer in Bewegung zu setzen, dann hätte es wol kaum einen besseren Reisenden als Patrioli gegeben, denn auf diesem Gebiet war er ein vollendeter Künstler. Er verstand es meisterhaft, mit ein paar Worten eine Situation zu schildern und die handelnden Personen in ihrer Eigenart plastisch und lebenswahr darzustellen, aber -- er bediente sich dabei ausschliesslich des Italienischen und„ wer diese Sprache nicht beherrschte, dem entgingen natürliech alle Feinheiten seiner Schilderung. Si ama o non si ama! (entweder man kann sich leiden oder man kann sich nicht leiden und damit basta!) – das war sein Leitsatz und danach handelte er.

Wir trafen uns zum erstenmal auf der Ausreise von Triest nach Alexandien an Bord der "HELOUAN" vom Lloyd Triestino. Der Dampfer fuhr gerade an der nahen dalmatinischen Küste entlang, als die Passagiere durch ein Scheingefecht der italienischen Flotte aufmerksam gemacht wurden. Einige kleine Kreuzer beschossen bei einem Mannöver ein Küstenfort und von dort wurde das Feuer scheinbar erwidert. "Was sind mir das wieder für Zicken!" meinte Patrioli grimmig, aber als wir drei Tage später in Aegpten landeten, da wussten wir auch gleich Bescheid, was es für eine Bewandnis damit gehabt hatte. Wir waren unfreiwilliee Zeugen gewesen einer vorbereiteden Uebung zur tagsdarauf stattegefundenen Besetzung von Korfu durch die Italiener, die damals soviel böses Blut bei den Griechen gemacht hat und durch eine Botschafter- Konferenz rückgängig gemacht werden musste. Die anti-italienische Stimmung in ganz Griechenland hat noch lange später angehalten und mein Freund Patrioli ware ihr beinabe zum Opfer gefallen, wenn ich nicht meine schützende Hand über ihn gebreitet hätte. Aber das war viele Wochen später und wir hatten uns inzwischen ganz aus den Augen verloren. Erst in Beyrouth sah ich Patrioli wieder und hatten wir beschlossen, gemeinschaftlich die Weiterfahrt Cypern anzutreten und zwar mit dem italienischen Dampfer „Campidoglio“, der gegen Abend in Beyrouth abfährt und am nächsten Morgen bereits in Larnaca ankommt. Patrioli konnte dieses Wort nicht aussprechen udu hatte denHafen daher „Lanarca" getauft und -- dabei blieb's.

Auf den italienischen Dampfern im Mittelmeer war Patrioli natürlich bekannt wie ein roter Hund und man wusste auch, dass er als Original auch einen Spass vertragen konnte. Die Seeleute aller Nationen gleichen sich in mancher Hinsicht, vor allen Dingen aber darin, dass ihnen nichts über einen gelungenen Scherz geht, durch den sie die Eintönigkeit des Bordlebens unterbrechen können. Ich als Tischnachbar von Patrioli war in den Plan eingeweiht worden, damit er nicht seinen Knalleffekt verlieren sollte. Es war vielleicht nicht ein blosser Zufall, dass es jenem Abens Entenbraten gab; jedenfalls war es aber auffallend, dass dieser Gang auf der an Bord gedruckten Speisekarte in grossen Lettern mit: Anitra à la Patrioli (Entenbraten nach Patrioli-Art) angeführt war (als Anspielung auf die charakteristische Gangart meines Tischgenossen). Aller Augen hingen an seinem Gesicht, als er kritisch die Speisekarte musterte umd --- er sah wirklich nicht, worauf es uns allen ankam. Jetzt begann ich in Funktion zu treten, indem ich ihn scheinheilig fragte, ob vielleicht einer seiner Vorfahren zufällig ein berühmter Koch oder dergleichen gewesen sei unter Hinweis auf den erwähnten Text dann begann die Sache zu wirken. Patrioli packte aus und spielte den Beleinigten, aber es war ihm anzusehen, dass es ihm nicht halb so ernst damit war und der Schluss war vorauszusehen. Er konnte das Lachen nicht mehr verhalten und ein allgemeiner Umtrunk mit damit verbundenen Sympathiekundgebungen für den Vertreter des guten Humors beschloss das stimmungsvolle Abendessen an Bord.

Unser Aufenthalt auf der Insel Cypern hatte nur wenige Tage in Anspruch genommen. Die Geschäfte dort waren recht bescheiden ausgefallen, denn so reich wie das Land ist, so ärmlich ist die Mehrzahl seiner Bewohner, was schon an den Hotelpreisen zum Ausdruck kommt. Neben dem Hotel war ein armseliges Kino, in dem jeden Abend ein anderes Programm gegeben wurde, da ja die wenigen zahlungskräftigen Besucher immer dieselben sind. Die betr. Filme waren aber auch entsprechend und dürften aus den ältesten Beständen "nach dem Gewicht" verliehen worden sein. Alle fünf Minuten brach das Filmband ab und wartete das Publikum geduldig, bis die spannende Handlung weiterging. Am Abend vor unserer Weiterreise wurde „Der Kaufmann von Venedig" gegeben, ein uralter stummer Film mit englischem Text in Versform nach dem Originalwerk Shakespeares. Meine Aufgabe bestand darin, meinem Freund Patrioli den Inhalt in knapper Form zu übersetzen, was gewiss nicht leicht war und ihn euch nicht voll befriedigen konnte, die neben uns sitzenden Zuschauer jedenfalls noch weniger, aber auf diese konnten wir leider keine Rücksicht nehmen.

Und dann am nächsten Tag fing der Leidensweg Patriolis an, als wir an Bord eines kleinen, nicht allzusauberen griechischen Dampfers die dreitägige Fahrt nach Piräus antraten. Alles kam da zusammen für den Aermsten. Zuerst ein Rückfall seiner alten Malaria, eines Kriegsandenkens, dann die Kost an Bord mit dem unvermeidlichen Hammelfett und schliesslich ein Sturm und die gefürchtete Seekrankheit. Ich pflegte ihn aufopfernd bei Tag und Nacht und reichte ihm abwechsend die Opferschale und einen kühlen Kopfumschlag, aber als wir am Ziel ankamen, war er trotzdem nur noch ein Schatten des früheren lebenslustigen Patriolis. Einige Stunden vor Ankunft verwandelte ich mich sogar noch in seinen Hofbarbier und weiss heute nicht mehr, oh meine seelischen Schmerzen bei dieser Misshandlung dabei grösser waren als sein körperliches Leiden. Aber es ging immerhin noch einigermassen gnädig ab und ich brachte ihn schliesslich, mehr tot als lebendig, zur Schnellbahn, die von Piräus nach Athen führt. Es war abends und die Abteie waren zum Platzen überfüllt und dabei konnte sich der Aermste kaum noch auf den Beinen halten. Und nun fing der Unglücksmensch auch noch an, italienische zu sprechen inmitten All dieser, auf Italien so geladenen Griechen. Sie schlossen sich dicht zusammen und, erst als ich sie auf seinen bedenklichen Zustand auferksam machte und an ihre Menschlichkeit appellierte, wurde ihm ein Platz freigemacht. Auf Anordnung des Arztes in Athen musste er sich ausschliesslich mit sterilisierter Milch ernähren und Rizinusöl nehmen, was ihn auch schliesslich kuriert hat. Und dabei ist ihm Rizinusöl sicher noch weniger sympathisch gewesen als Hammelfett.