Im Tal der 1500
Alfred Maier

Im Tal der 1500. - Erzählt von Alfred Maier.

In langsamem Tempo fährt der Dampfer der Pacific-Line lgnes der nahen mexikanischen Küste in der drückenden Schwüle des Nachmittags. Einige der Passagiere sitzen in nachlässiger Haltung auf der offenen Terrasse hinter dem Rauch-Salon und schlürfen eisgekühlte Getränke. Die Unterhaltung geht um Mexiko, um die Politik und die wirtschaftliche Zukunft des Landes. Einer behauptet, dass die Zivilisation in Mexiko von Norden nach Süden zu vordringt und die Gebiete südlich der Hauptstaat noch sehr rückständig und teilweise sogar noch ziemlich unsicher seien. Da ergreift Mr. Gilbert das Wort, der jahrelang in Mexiko gelebt hat.

'Was ich Ihnen jetzt erzähle, das liegt noch keine zeanzig Jahre zurück und soll Innen beweisen, dass auch der Norden des Landes noch Gebiete aufweist, in denen die halbwilden Indianer noch uneingeschränkte Herren des Landes sind. Dort wohnen Stämme wie z.B. die Chiapas, die sich bis heute noch nicht der Zentralregierung unterworfen haben und sich erfolgreich gegen jede Einmischung in ihre Angelegenheiten und gegen jegliche Einwanderung in ihr Gebiet zur Wehr setzen. Ab und zu hört man von räuberischen Ueberfällen der Chiapas auf benachbarte Siedlungen. Es wurden Strafexpeditionen ausgeschickt, die meistens ergebnislos zurückkehren und dann bleibt alles wieder beim alten. Manche dieser Expeditionen sollen in Hinterhalte geraten sein und man hat nie wieder etwas von ihnen gehört. Die Karabiner, mit denen die Chiapas ausgerüstet sind, und die zugehörige Munition dürften von solchen Expeditionen herrühren, die von den Chiapas restlos vernichtet wurden.

Ich selbst bin nur ein einziges Mal mit den Chiapas-Indianern in Berührung gekommen und wenn ich heute daran zurückdenke, dann läuft es mir, trotz der Bullenhitze, noch eiskalt über den Buckel. Das können Sie mir glauben. Ein junger Verwandter von den Staaten war in einer Erbschaftsangelegenheit herunter nach Chihuahua gekommen, wo ich mich, damals aufhielt. Es handelte sich um eine Goldmine, die ihm ein verstorbener Onkel vermacht hatte und die sich irgendwo in den von den Chiapas bewohnten Bergen befinden sollte. Also musste eine kleine Expedition ausgerüstet werden unter Beteiligung einiger mexikanischer Mineningenieure und unter Führung von Mr. Elder, einem früheren Grenzer aus Texas, der zur Zeit, ein Gut bewirtschaftete unweit jener Konzession und ein Freund des Verstorbenen gewesen. Und dieser Expedition hatte ich mich angeschlossen, völlig ahnungslos, wie wenn es sich um irgendeinen harmlosen Vereinsausflug gehandelt hätte. Aber ich sollte bald eines besseren belehrt werden.

Acht Tage schon waren wir auf der Suche gewesen, leider völlig vergebens, und befanden uns auf dem Ritt nach einem kleinen Pueblo im Tale mit der Absicht, dort möglicherweise Erkundigungen einzuziehen. Schon vorher hatten die scharfen Augen Mr. Elders entdeckt, dass wir von indianischen Spähern beobachtet worden waren, denn er kannte ihre Kniffe von Texas und Arizona her und wenn sie noch so blitzschnell mit den Köpfen über dem Gebüsch auftauchten und wieder verschwanden, Mr. Elders Blicken blieben die Roten nicht verborgen. Daher auch sein Kriegsname "Aderauge", unter dem er weit und breit bekanntgeworden war.
Wir gelangten aber unbehindert nach dem Pueblo, das wie ausgestorben schien. Nur drei unbewaffnete Indianer kamen uns auf der Plaza entgegen, aus deren unfreundlichen Gesichtszügen wir deutlich ablesen konnten, dass wir hier nicht gerade willkommen waren. Wir stiegen ab und wollten eben unser Anliegen vorbringen, als wir im nächsten Augenblick auch schon von über hundert Indios umringt waren, die plötzlich von allen Seiten her aufgetaucht waren und den offenen Platz anfüllten, alle mit drohenden Minen und alle mit Militärkarabinern bewaffnet, wozu ein jeder einen Patronengürtel umgehängt hatte. Und schon trat auch der Häuptling auf uns zu, ein hässlicher alter Indio mit harten und grausamen Gesichtszügen und fragte uns in leidlichem Spanisch:

- Wer seid Ihr, was sucht Ihr hier und warum untersteht Ihr Euch, in dieses Gebiet hier einzudringen?

- Wir sind harmlose Wanderer, antwortete ihm Mr. Elder. Wir haben uns verirrt und wollten uns nur hier nach dem Weg erkundigen.

- Du lügst, Alter! Wir beobachten euch schon ein paar Tage lang. Nach was habt Ihr in den Bergen herumgeforscht und was habt Ihr überhaupt hier bei uns verloren?

- Dieses Land gefallt uns ausnehmend und hätten wir unter Umständen Lust uns hier anzusiedeln, das heisst, wenn Du uns ein Stück Land verpachten willst.
Auf meinem Gebiet siedelt sich kein Fremder an, das kannst Du Dir merken und im,Uebrigen können uns alle Fremden gestohlen werden, sowohl die Gringos als auch die Mexikaner, wobei er einen nicht wiederzugebenden Schimpfnamen für die letzteren gebrauchte.

Unsere Lage war wirklich kritisch geworden. Ich bin sonst nicht gerade ein Angsthase. Aber beim Anblick dieser mordgierigen Fratzen konnte ich kaum verhindern, dass mir die Zähne klapperten. Mr. Elder hatte dies bemerkt und warf mir eine tadelnde Bemerkung zu. Ich soilte, um Gottswillen, auf die Zähne beissen, denn wenn wir nur die geringste Angst zeigten, denn seien wir rettungslos verloren. Wie musste ich den alten Ranger bewundern, der da so unbekümmert stand, als ob es sich um eine gestellte Szene handelte auf einem Liebhabertheater, hoch aufgereckt und leuchtenden Auges.

Aber auch dieses Bluffen hätte ums auf die Dauer wenig genützt, wenn nicht im letzten Augenblick ein rettender Engel erschienen wäre in Gestalt eines jungen Indianers mit beinahe edel zu nennenden Gesichtszügen und auffallend sauberer Kleidung, der sich jetzt Mr. Elder näherte und ihn mit grosser Freundlichkeit begrüsste.

- Bist Du nicht das grosse "Adlerauge", das mir im vergangenen Jahr das Leben gerettet hat, damals als ich mich auf der Jagd verirrt und mir den Fuss verstaucht hatte? Ja, Du bist es ohne Dich wäre ich heute nicht mehr unter den Lebenden, denn ohne Dein Eingreifen hätten mich Deine Leute sicherlich gelyncht. Aber Du hast mich in Schutz genommen und mich gepflegt und behütet, sodass ich nach einer Woche schon zu den meinen zurückkehren konnte. Ich werde Dir das nie vergessen und für Dich und Deine Freunde ein gutes Wort bei meinem Vater einlegen.

Es war, in der Tat, der Sohn des Häuptlings, er nun in der Sprache der Eingeborenen auf den Alten einsprach uns es schliersslich erreichte, dass wir, unter sicherem Geleit, zurückgeführt wurden. Auf unsere weiteren Nachforschungen nach der geheimnisvollen Goldmine mussten wir allerdings verzichten, waren aber heilfroh, wenigstens mit dem Leben davongekommen zu sein, das nur noch an einem Faden gehangen hatte.
- Und wisst Ihr auch, wo wir ohne es au ahnen gewesen sind? meinte an jenem Abend Mr. Lider beim Lagerfeuer nach eingenommener Mahlzeit, als er sich seine gewohnte Pfeife an einem glühenden Holzspahn ansteckte. Wir waren in dem berüchtigten Tal der 1500, jener verhängnisvollen Stelle, wo die Chiapas der letzten Strafexpedition in Starke von 1500 Mann einen Hinterhalt gelegt hatten und sie bis auf den letzten Mann abmetzelten. Und wenn mein junger Freund nicht gewesen wäre, dann wäre es uns da kein Haar besser ergangen, by Jove!