Die Motilones - Erzählung aus Kolumbien
Alfred Maier

Die Motilones. Erzählung aus Kolumbien von Alfred Maier

Am 10. 0ktober 1939 wurde die neue, 263 Meilen lange Oelleitung der Kolumbianischen Petroleum Kompanie eingeweiht, die von den reichhaltigen Oelfeldern von Catatumbo (Dept. Norte de Santander - Kolumbien), durch wildes Dschungelgebiet hindurch und über hohe Bergketten hinweg (Hieberpass 5284 Fuß) nach dem neuangelegten Oelhafen Coverñas südlich von Cartagena führt und eine tägliche Menge von 25,000 Fass grüngoldenen Rohöls in die Tanks der Texaco-Socony-Vacuum-Gesellschaft pumpen wird. Ein neues Meisterstück amerikanischer Ingenieurkunst ist damit seiner Vollendung zugegangen und gleichzeitig damit sind die an der sogenannten Berco-Konzession interessierten, noch lebenden Mitglieder der Familie des Generale Virgilio Barco, nach 35-jährigem Warten, endlich in den Genuss der ihnen vertraulich zustehenden Tantiemen gekommen.

Die Anlage der Oelleitung lag in den Händen der South American Gulf 0il Co. deren Abkürzung "SAGOC“ von dem amerikanischen, 400 Mann starken Personal mit Suffer and God only cares d.i. Leide, dass es Gott erbarm' übersetzt wurde. Und in der Tat, was diese gegen tropische Unbilden abgehärteten Weissen, nebst den 5000 eingborenen Hilfskräften, in jearelangem Kampf gegen die Naturgewalten und unter ständiger Bedrohung durch Überfalle vonseiten der wilden Indianerstämme jener Gegenden geleistet haben, ist voller Anerkennung wert.

Dabei wurde keineswegs an Geld gespart. Im Ganzen wurden 40 Millionen Dollars ausgegeben, bevor der erste Tropfen Oel gewonnen wurde, und davon entfallen für den Bau der Oelleitung allein 18 Millionen Dollars. Es mussten zuerst Flugplätze im Innern angelegt werden, denn der Transport der 12-Zoll starken Rohre, sowie der eisernen Brückenbogen, des Zements für Brückenbauten usw. geschah auf dem Luftwege. Eine einzige Brücke erforderte 240 solcher Flugtransporte und fanden dabei zwei wackere Flieger den Tod durch Absturz unweit des Flugplatzes Rio de Oro. Weitere acht Mann, vorwiegend Oelsucher oder sogenannte Prospectors, fielen den wilden Indianern zum Opfer, den Motilones, die nur dem Namen nach unterworfen sind, in Wirklichkelt aber keinerlei Oberhoheit anerkennen und überhaupt mit den Weissen nichts zu thun haben wollen.

Obwohl die Sache damals totgeschwiegen wurde, ist es heute kein Geheimnis mehr, dass von einer Strafexpedition von 275 Mann Militär, die vor etwa zwei Jahren dorthin gesandt wurde, kein einziger mehr zurückgekommen ist. Wer nicht durch Fieber und Entbehrungen zugrundegegangen ist, der fiel den 5 Fuß langen, mit sägegezahnten Spitzen versehenen und vergifteten Pfeilen der Motilones zum Opfer. Einige Exemplare dieser fürchterlichen Waffen sind in den Museen von Bogotà zu sehen; aber was man sonst von dem kriegerischen Stamme weiss, ist herzlich wenig. Kein Mensch kennt ihre Sprache. Man schätzt ihre Zahl auf ca. 10,000 und behauptet, dass viele von ihnen, sonderbarerbarerweise blondes Haar und blaue Augen haben sollen. Sie sollen früher einmal an den Küsten des karibischen Meers gehaust haben; ein deutsches Segelschiff, vielleicht von den Fuggern oder Welzern abgesandt, hat dort Schiffbruch erlitten und die Überlebenden wurden in den Stamm aufgenommen. Gegen diese Theorie spricht allerdings die Tatsache, dass den Motilones der Gebrauch des Feuers unbekannt ist. Auch der Bau ihrer Hütten ist bemerkenswert. Es sind dies ganz eigenartige Gebilde in Schlauchform, etwa 30 Fuß lang und 5 Fuß hoch, aus halbkreisförmig gebogenen Zweigen hergestellt und mit Moos und Erde bekleidet, ohne irgendwelchen fensterartigen Luftdurchlass, in nie man also nur kriechend eindringen kann. Sie dienen offenbar nur zum Schlafen und bieten Schutz vor der Nachtkälte, vor Raubtieren und Schlangen oder sonstigem giftigen Ungeziefer, von dem der Urwald wimmelt. Ihre Angriffe auf die Weissen machen die Motilones nur aus dem Hinterhalt und bei genügender zahlenmässiger Überlegenheit. Sie sind Meister im Anschleichen und, da sie die Wirkung der Feuerwaffen kennen, ohne sich je derselben zu bedienen, vermeiden sie einen offenen Kampf mit den „weissen Teufeln", denen sie ewige Rache geschworen haben.

Es war wirklich interessant, den Schilderungen Mc. Firelands zuzuhören, wenn er abends in Barranquilla, bei einem kühlen Scotch, dem um ihn versammellten kleinen Kreis seine Erlebnisse dort draussen in der Wildnis erzählte und mit andächtiger Spannung hing alles an einen Lippen. Ja, das war wirklich nicht so einfach, wie sich das der Laie vorstellt. Für eine Wegstrecke von einer halben Meile, die man sich mit Buschmessern, den sogenannten Machetes, bahnen musste, benötigte man im Durchschnitt drei Stunden. Dann der Nachschub des ganzen Gepäcks, der Apparate und später der zum Bau der Bohrtürme erforderlichen Maschinen und Geräte. Und gerade mieser Prachtmensch von Mc. Firelland sollte kurze Zeit darauf einem solchen heimtückischen Ueberfall der Roten zum Opfer werden.

Seit einem Vierteljahr schon waren die Arbeiten im Gange zu einem der 68 Bohrtürme, welche die Barco-Konzession heute aufweist. Man hatte die ganze Umgebung gerodet und ein richtiges Lager am Fluss unten errichtet, unweit des neuen Bohrturms, der bald. seiner Vollendung entgegensah. Da war die Küche und dahinter der Wasserfiltrierapparat und die elektrische Zentrale für Licht und Kraft. Die Wohnräume zwar primitiv, aber sauber gehalten und alle Fenster und Türren mit feinem Metallgeflecht zum Schutz gegen die Moskitoplage versehen. All dies kam auf dem Wasserweg über Maracaibo, den Rio Catatumbe herau denn die Barco-Konzession liegt an der nordöstilchen Grenze gegen Venezuela zu und ist von dort aus leichter zu erreichen als von den kolumbianischen Häfen der atlantischen Küste.

Die Wilden müssen schon wochenlang vorher, aus ihren Verstecken heraus, diesem Treiben zugesehen haben und hatten geduldig Tag für Tag zugewartet bis der richtige Moment für sie gekommen war. Gerade an jenem Tag, als sie das Lager dann schliesslich überfielen, war Mc. Fireland mitz nur wenigen kolumbianischen Arbeitskräften, dem Koch und dem Aufwärter, im Lager zurückgeblieben, während alle übrigen einen neuen Transport in der nauml;chstgelegenen Station abzuholen hatten. Dieser Transport war sogar schon auf dem Rückwege und trennten ihn nur noch wenige Meilen vom Lagerplatz, als man durch einige, rasch hintereinander abgegebene Revolverschüsse, die aus der Richtung des Lagers herkamen, aufmerksam wurde.

Obwohl man alle Lasten sofort wegwarf und im Laufschritt zum Lager eilte, war es bereits zu spauml;t und keiner der Aermsten mehr am Leben. Aber geradezu fürchterlich hatten die Angreifer Mc. Fireland zugerichtet. Der Leib war ihm aufgeschlitzt und das Herz herausgerissen worden, ganz zu schweigen von anderen, barbarischen Verstümmelungen. Die vergifteten Pfeile, aus sicherem. Versteck und aus unglaublich grosser Entfernung abgeschossen, hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Aber nichts war sonst angetastet worden und selbst die Feuerwaffen hatte man den Opfern gelassen offenbar weil sie die Inidaner als Erfindungen des Teufels betrachteten.

Die augenblicklich aufgenommene Verfolgung der Motilones führte nur zur Entdeckung ihres Lagerplatzes an einen verborgenen Stelle hinter dem nahen Bergrücken und zur Gefangennahme eines jungen Indianers, der anscheinend aus Naseweis zurückgeblieben war und den Verfolgern in die Hauml;nde fiel. Eine Verstauml;ndigung mit ihm war nur in der umstauml;ndlichen Zeichensprache der Minen möglich und blieb naher auch ergebnislos. Man sandte ihn als Geisel zum Hautquartier nach Petroleo, was zur Folge hatte, dass man weiterhin vor den Ueberfauml;llen der Roten verschont geblieben ist. Diese werden wohl eingesehen. haben, dass sie gegen das Vordringen des weissen Mannes machtlos sind und dürften sich mit dem Trost begnügen, dass ihnen ja noch unendlich ausgedehnte Gebiete und Jagdgründe verbleiben, in denen noch Generationen der ihren ungestört weiterleben können, ohne dass sie jemals mit den verhassten, habgierigen Bleichgesichtern und ihren Teufelsmaschinen zusammenstossen werden.