Nervenkrieg in 'neutralen' Südamerika
Alfred Maier 1940

Nervenkrieg im "neutralen" Südamerika
Bogotà, den 23. Januar 1940

Spezialbericht für den "Pforzheimer Anzeiger" von Alfred Maier. Nicht von dem was man drüben in Europa unter Nervenkrieg versteht, soll hier die Rede sein, sondern von dem schweren Stand, den der Deutsche auch im sogenannten neutralen Ausland heute hat unter dem Querfeuer einer feindlichen Propaganda mit all ihren raffinierten Mitteln der Massenbeeinflussung. Wir Deutsche im Ausland wissen ja durch den deutschen Rundfunk genau, wie die Dinge stehen drüben und wir haben alle die feste Zuversicht, dass unsere Heimat und unser Volk diesen Kampf nicht verlieren können und irgendwie siegreich daraus hervorgehen müssen. Aber es gehören Nerven aus Stahl dazu, um in dieser Umgebung nicht schwach zu werden oder wankelmütig. Trotzdem soll uns nichts dieses felsenfeste Vertrauen in die Zukunft Deutschlands rauben.

Hier in Kolumbien hat der Krieg bereits seine nachteiligen wirtschaftlichen Folgen gezeitigt, in der Hauptsache deshalb, weil Kolumbien in erster Linie ein Kaffeeland ist und seine Wirtschaft mit dem Kaffee steht und fällt. Es wird also nie wie andere Länder, z.B. Argentinien, aus dem Krieg Nutzen ziehen können und sieht deshalb der Zukunft mit gewisser Besorgnis entgegen. Dabei ist dieses Land unermesslich reich an Natur- und Bodenschätzen aller Art und wird allgemein als „das" Land der Zukunft bezeichnet.

Seine hochgelegene Hauptstadt Bogotà kann den Ruhmestitel der gastfreundlichsten Stätte der neuen Welt für sich in Anspruch nehmen. An keinem anderen Platz Südamerikas kommt man in der Tat dem Fremden, ohne Unterschied der Nationalität, mit so vollendeter Liebenswürdigkeit entgegen wie gerade hier in dem sogenannten "Athen" Südamerikas und hängt dies vielleicht damit zusam-men, dass diese Hauptstadt in einem weltabgelegenen Teil des Landes errichtet wurde, fern von den grossen Strassen des Wetverkehrs und, vor Gruendung der „Scadta" (Sociedad colombo-alemana de transportes aáreo), einer deutsch-columbianischen Flugzeug-Gesellschaft, nur nach umständlichen und anstrengenden Reisen erreichbar. Aber auch Asuncion, La Paz und Quito liegen ebenso fernab und können trotzdem in diesem Punkte den Vergleich mit Bogotà nicht aufnehmen Nein, es muss vielmehr im Charakter der Bevölkerung selbst liegen und ist die gastliche Aufnahme des Landesfremden im Laufe der Zeit zur Tradition geworden wobei allerdings auf der anderen Seite eine entsprechende Einstellung des fremden Gastes vorausgesetzt wird. Es ist das gute Recht des freien Kolumbianers, über Missstände in seinem Lande zu schimpfen, an denen es gewiss nicht fehlt, aber aus dem Mund des Fremden hört er dennoch eine solche Kritik sehr ungern und ist es daher ein Gebot der Klugheit, sich hierbei eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen.

Kommt nun gar das Gespräch auf das Thema: Politik und, was ganz unvermeidlich ist, auf die Probleme des gegenwärtigen europäischen Krieges, so gilt noch mehr wie sonst der weise Spruch: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, besonders aber, wenn man weiss, woher der Wind weht und darüber kann hierzu-lande nicht der geringste Zweifel bestehen. Während im Weltkrieg die Sympathien der Kolumbianer zu 80% auf Seiten Deutschlands lagen, ist es heute gerade umgekehrt der Fall und tut man sehr gut daran, sich in diesem Punkte keinerlei Illusionen hinzugeben. Nicht dass man etwas gegen die Deutschen im allgemeinen hat, denn die hiesige deutsche Kolonie zählt zu den ältesten und angesehensten; auch gewiss nicht aus Sympathie zu den Juden, deren Konkurrenz im Geschäftsleben man bereits unangenehm am eigenen Leibe verspürt hat; aber es ist nun einmal Mode geworden, gegen die "Totalitären" eine ablehnende Stellung einzunehmen und die Kirche, das Kino und ganz besonders die Presse, die hier für "Zuwendungen" empfänglich zu sein scheint und ihre Nachrichten von den bekannten Nachrichten-Agenturen HAVAS und UNITED PRESS bezieht, tun das ihre dazu. Während die führenden Blätter Argentiniens „La Prensa" und „La Nacion", die wirklich unparteiisch und auch unabhängig sind, beide Teile zum Wort kommen lassen, bringen die hiesigen Zeitungen zwar wohl die deutschen Heeresberichte, aber sämtliche Kommentare dazu sind tendenziös und auch in den anscheinend sachlichen Abhandlungen und besonders in den Karikaturen wird geflissentlich der herrschenden Stimmung Rechnung getragen und kein gutes Haar an den führenden Männern Deutschlands gelassen. Hierbei machen sowohl die Zeitungen der konservativen Opposition wie z.B. „El Siglo" als auch die führenden liberalen Organe, wie „el Tiempo", El Liberal" und „El Espectador " gemeinsame Sache und besonders schlimm ist es seit unserem Zusammengehen mit Sowjet-Russland geworden und dem Krieg der " Bolschewisten n in Finnland. Eine eigentliche Arbeiterpartei gibt es in Kolumbien nicht und die hiesige kommunistische Partei führt ein sehr bescheidenes Schattendasein und wird nicht ernst ernst genommen.

Es ist natürlich schmerzlich für den Deutschen, diese Feststellungen machen zu müssen und bleibt uns nur der schwache Trost, dass diese Auslassungen der Presse nicht gerade die Meinung und Einstellung der Regierung widerspiegeln und auf die Pressefreiheit in diesen „demokratischen" Ländern zurückzuführen sind.

In verschiedenen mittel- und südamerikanischen Hauptstädten sind Fälle vorgekommen, wo irgendein Karikaturist über die Grenzen des erlaubten hinausgegangen ist, sodass die dortigen deutschen Gesandten, zur Wahrung des deutschen Ansehens, Protest bei den betreffenden Regierungen erheben mussten. Der hiesige deutsche Gesandte, Herr Dr. Wolfgang Dittler, hatte bisher noch keine Veranlassung hierzu. Er ist übrigens Karlsruher und soll sein Grossvater gebürtiger Pforzheimer sein. Dass er sich, trotz der verhältnismässig kurzen Zeit seines Wirkens hier einer gewissen Beliebtheit erfreut, ging daaus hervor, dass bei seiner Rückkehr d.h. bereits nach Kriegsausbruch, die hiesigen Blätter es sich nicht nehmen liessen, ihm einige herzlichen Begrüssunes-Spalten zu widmen.
Nicht unerwähnt will ich lassen, dass die hier ziemlich stark verbreiteten Wochenzeitschriften aus den U.S.A. wie „Life", „Time" und „Newsweek", im angenehmen Kontrast zu der lokalen Presse, die Kriegsereignisse verhältnismässig unparteiisch bringen und las ich in der ersteren Zeitschrift z.B. Berichte (mit erstklassigen Illustrationen) über die Versenkung der „Royal Oak" und, der „Rawalpindi", sowie über die Seeschlacht bei Montevideo mit der nachfolgenden Versenkung des „Admiral Graf von Spee", an denen wirklich nichts auszusetzen war. Vielleicht spielt auch hierbei die merkliche Abkühlung in der haushohen englisch-amerikanischen Freundschaft eine Rolle mit. Die Yankees sehen es nämlich ungern, dass die Engländer verzweifelte Anstrengungen machen, um ihren Umsatz mit den südamerikanischen Staaten zu steigern, wobei sie natürlich dem Onkel Sam in die Quere kommen. Auch die Briefkontrolle der amerikanischen Clipper-Post auf den Bermudas-Inseln hat in Washington böses Blut gemacht und ist anscheinend, infolge der Verhaltungen und Drohungen der amerikanischen Regierung, auch bereits wieder aufgegeben Norden.

Als die Nachricht von dem Freitod des Kommandanten von Langsdorf hier eintraf, sass ich gerade in einem spanischen Bierlokal der dreizehnten Strasse zusammen mit meinem kolumbianischen Vertreter. Da kam ein mir völlig unbekannter Gast auf mich zu uns( reichte mir die Hand. Auf meinen fragenden Blick erwiderte er in grosser Bewegung: Sie Sie vielleicht wissen, gibt es auch unter uns Kolumbianern einige Nazis. Ich gehöre jedenfalls nicht dazu, ganz im Gegenteil, aber vor Ihrem Landsmann von Langsdorf ziehe ich den Hut ab. Sie können stolz auf solche Leute sein! Und das wollte ich Ihnen nur sagen, wenn es erlaubt ist. Adios, que le vaya bien! ( Leben Sie wohl und viel Glück! )